„Euthanasie“-Erinnerungsstätte

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Dieser Artikel erschien am 4. Oktober 2008 in der Tageszeitung „Junge Welt“

Einweihung eines Kissens zu Oldenburg – Ende August
von Sabine Lueken (Mitglied des Gedenkkreises Wehnen e.V.)

In der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen bei Oldenburg wurden während der Nazizeit mindestens 1500 Patienten ermordet, man ließ sie einfach verhungern. Auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof wurde erst Ende August eine Gedenkstätte errichtet. Dem gingen zehn Jahre Bemühungen eines Gedenkkreises voraus, denn lange Zeit galt, daß es im Oldenburger Land keine »Euthanasie« gegeben habe. Das änderte sich erst mit den Forschungen des Historikers Ingo Harms seit Mitte der 90er.

Seitdem gibt es eine Auseinandersetzung der Angehörigen der Ermordeten mit denen, die die damaligen Verbrechen begangen haben, sie verschwiegen oder leugneten. Die Angehörigen richteten in der »Alten Pathologie« auf dem Krankenhausgelände der heutigen »Karl-Jaspers-Klinik« eine Ausstellung ein und ließen dort 2001 ein offizielles Mahnmal errichten. Nach diversem Hickhack ist nun auch die zuständige Kirchengemeinde Ofen dem Gedenkkreis entgegengekommen und hat ihm auf ihrem Friedhof ein Areal zur Verfügung gestellt. Auf einem Bett aus Thymian liegt dort jetzt ein weißes Kissen aus Marmor. Später soll für jeden der getöteten Patienten ein kleinerer Stein mit Namen oder Initialen hinzugefügt werden. Dafür sucht der Gedenkkreis noch Paten, um die Kosten aufzubringen.

Ursprünglich sollte auf dem Marmorkissen folgende Inschrift stehen: »Du sollst nicht töten. Zur Erinnerung an mindestens 1500 Patienten der Heil- und Pflegeanstalt, die 1935 – 1945 von Ärzten, Pflegepersonal und Medizinalbeamten durch verordneten Hunger ermordet wurden«. Diesen Text lehnte aber der Gemeindekirchenrat ab. Das sei zu pauschal und diffamierend. Auch der Ortsbürger- und Heimatverein Ofen verwahrte sich dagegen und warf dem Gedenkkreis in einer Presseerklärung »unerträgliche Arroganz« vor, weil er ganze Berufsgruppen als Mörder verurteile. Immerhin würden einige der damaligen Pfleger noch leben.

Der Gedenkkreis plant nun eine öffentliche Vortragsreihe, um die besondere Täterschaft der Ärzte aufzuzeigen. Es seien eben nicht SS-Leute in die Anstalten gekommen, um die Patienten zu töten, das haben Ärzte und Pflegepersonal schon selber gemacht.

Deshalb empfanden es einige der Angehörigen auch als zynisch, daß bei der Einweihung des Denkmals der Vorsitzende des Friedhofausschusses für seine Bibellesung ausgerechnet die Verse aus dem Matthäus-Evangelium ausgewählt hatte, die von den Vögeln unter dem Himmel handeln, die nicht säen und nicht ernten und vom himmlischen Vater doch ernährt werden. Bischof Krug, im Nebenamt Militärbischof der evangelischen Kirche, setzte noch einen drauf, als er das Leid der Angehörigen mit dem von Soldatenfrauen, Kriegsteilnehmern und Vertriebenen in einem Atemzug nannte.

Das große Hungersterben begann in Wehnen schon 1935. Bereits mit Beginn der Naziherrschaft ergriffen die Oldenburger Psychiater die Gelegenheit, ihre menschenverachtende Ideologie vom »unwerten« Leben straffrei in die Tat umzusetzen, so Ingo Harms. Der kleine Friedhof wurde bald zu eng, es mußten Erweiterungsarbeiten vorgenommen werden: 1936, 1938, 1941 und 1942 schaufelten sich die Patienten der Heilanstalt buchstäblich ihr eigenes Grab. Der Pastor der Gemeinde Ofen hat damals jeden einzelnen Todesfall registriert; er machte zudem Krankenbesuche in der Anstalt und hielt dort Gottesdienste ab. Er wußte Bescheid und hat sich nicht dagegen gewehrt.

1995 wurde das Gelände auf dem Friedhof von der Gemeinde eingeebnet und eine Skulptur mit einem Bibeltext aufgestellt, dessen Bezug zur »Euthanasie« höchstens für Experten erkennbar war – just zu dem Zeitpunkt, als sich der Gedenkkreis gründete.

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