Am 14.4.2021 erschien im Verlag Beltz Juventa die Studie DER VERBAND. Anstaltsfürsorge zwischen Rassenhygiene, Bereicherung und Kommunalpolitik (Oldenburg 1924-1960).
Im Auftrag der Gedenkstätte Wehnen und des Fördervereins internationales Fluchtmuseum e.V. hat der Historiker Ingo Harms die finanziellen Zusammenhänge zwischen dem Hungertod der Patienten in den oldenburgischen Anstalten und dem Vermögen des Landesfürsorgeverbandes, des heutigen Bezirksverbandes Oldenburg, untersucht. Grundlage dieser Studie ist die Quellenarbeit der Forschungsstelle Geschichte der Gesundheits- und Sozialpolitik (Universität Oldenburg 2005 – 2016).
Hauptsächliches Leitmotiv der Krankenmorde, so das Forschungsergebnis, war nicht die Doktrin vom „lebensunwerten Leben.“ Vielmehr verfolgte der Landesfürsorgeverband gemäß dem Aufruf von Reichsinnenminister Frick zur „Ressourcengewinnung durch Mittelverweigerung“ eine systematische Reduktion der Pflegekosten. Während Hunderte von Patienten starben, bildete der Verband ein Millionenvermögen und investierte in den Aufbau völkischer Kultur und die Modernisierung der Energieversorgung und Landwirtschaft. Unter anderem gründete er 1940 mit zwei Millionen Reichsmark die Ferngas Weser-Ems GmbH, aus der die heutige EWE hervorging. Weitere Profiteure waren u.a. die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen, das Museumsdorf Cloppenburg, die NS-Kultstätte Bookholzberg, das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg und die regionale Fleischmehlfabrikation. Andererseits wurden auch Einrichtungen der Gehörlosenförderung, Tuberkulosehilfe und Kindererholung finanziert.
Die Studie beeindruckt besonders durch die Darstellung einer radikal auf Kostenreduktion und Kapitalbildung fokussierten Fürsorgebürokratie. „Die Vernachlässigung der Patienten war nicht die Folge, sondern die Voraussetzung für die Vermögensbildung,“ fasst Dr. Harms zusammen. Parallelen zur modernen Form der Krankenhausprivatisierung seien unübersehbar. „Die Ökonomisierung der Gesundheitsdienste steht im direkten Konflikt mit den Interessen der PatientInnen,“ resümiert der Autor seine historische Erkenntnis.