Chronologie der Selbsthilfe- und Interessengruppe Angehörige von Opfern der NS-Euthanasie in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen
Auf Grund der Herausgabe des Buches „Wat mööt wi hier smachten….“ fand am 22.01.1997 eine Lesung durch den hier bekannten und anwesenden Autor Dr. Ingo Harms in der UNI-Bibliothek in Oldenburg statt. Auf diese Weise lernten sich mehrere Opfer-Angehörige kennen.
Zwischenzeitliche Kontakte führten im Februar 1999 zum ersten Treffen und anschließendem Besuch auf dem Ofener Friedhof. Dort wurden viele der ehemaligen Patienten beerdigt.
Noch im April 1999 fand ein erstes Treffen im jetzigen Landeskrankenhaus Wehnen statt. Teilnehmer waren die LKH-Leitung, Vertreter des Niedersächsischen Ministeriums für Frauen und Soziales, der Bezirksverband Oldenburg als Rechtsnachfolger des ehemaligen Fürsorgeverbandes, Dr. Harms und eine Abordnung von Angehörigen. Hier wurde zum ersten Mal unser Wunsch nach einem Denkmal artikuliert!
Im Mai – einen Monat später – fahren wir in ähnlicher Zusammensetzung in das ehemalige KZ Mohringen, um Anregungen für eine Gedenkstätte einzuholen.
Die Einladung in das Niedersächsische Ministerium in Hannover im November des selben Jahres führte uns mit einer sehr verständnisvollen Ministerin – Frau Merk – zusammen. Sie ließ uns ihre Unterstützung wissen. Dieser Besuch führte später zu der Denkmalseinweihung am 01.09.2001 auf dem Gelände des LKH.
Neben den Denkmalsaktivitäten entwickelten sich aber auch konstruktive Gespräche mit der evangelisch-lutherischen Kirche in Ofen.
Im Juni 2000 treten der Oberkirchenrat Herr Pfarrer Rittner, Ortkirchenpastor Nitz, der gesamte Kirchenrat, Ortsbürgerverein und Angehörige von Opfern zusammen. Standpunkte werden geäußert, aufgenommen und erarbeitet. Mit viel gepflegter Disziplin finden die Gespräche Niederschlag in der Gedenkfeier – unserer ersten – am 01.09.2000. Frau Witte – damalige Staatssekretärin aus Hannover – brachte uns damals die Zusage für den Denkmalsbau mit. Sie zeigte in einer engagierten Rede in Bezug auf die NS-Zeit Gefahren auf, die auch heute schon wieder lauern. Patienten-Bioethik usw.
Frau Dr. Groothuis zeigte bei ihrem Gedenktagsbeitrag nicht nur das unvorstellbare Maß an Grausamkeiten an den Betroffenen auf, sondern verwies auch auf die Folgeschäden der nachfolgenden Generationen. Sie entschuldigte sich stellvertretend für die Ärzteschaft der NS-Zeit, für das unverantwortliche und unentschuldbare Handeln und mahnte Verantwortung und Ehrlichkeit an.
Oberkirchenrat Herr Pfarrer Rittner stellte Versöhnlichkeit über die Verfehlungen und das Schuldigwerden, damit Vergangenes zu Gunsten einer vorurteilsfreien Forschung aufgearbeitet werden kann.
Hier im Festsaal ließ uns das LKH eine würdige Gedenkfeier ausrichten. Mehrere Geldspenden machten sogar ein gemeinsames Essen möglich. Viele Gespräche werden wohl nie vergessen werden. Das war unser erster Gedenktag im Jahre 2000.
Volkstrauertag im Jahre 2000:
Pastor Nitz lädt uns zum Gottesdienst ein und hält eine mutige Rede. Er bezieht die Bürger Ofens mit in die Verantwortung ein.
Statistische Zahlen: Jede Zahl ist ein Schicksal, jedes Schicksal birgt eine Familie in sich. Die anschließende Kranzniederlegung auf dem Patientenfriedhof soll sich jährlich wiederholen.
Zu diesem Zeitpunkt ist unser Wunsch auf Denkmalschutz auf dem Patientenfriedhof schon artikuliert. Die Folgen sind kaum überschaubar und brauchen viel, viel Zeit. Noch heute ist die Fertigstellung noch nicht genau absehbar. Es liegt aber ein sehr interessantes, ausdruckstarkes Konzept vor.
Der zweite Gedenktag am 01.09.2001 rückt näher und das Denkmal ist fertig. Das LKH richtet auf Grund der vielen Besucherzusagen zu unserer Denkmalsenthüllung die Feier im Zelt aus und schafft auch dort wieder einen sehr ansprechenden Rahmen. Weitere Unterstützungen finden wir dieses Mal wieder vom Bezirksverband und vom BEZ – vertreten durch Herrn Meyer und Frau Heß. Frau Cassens-Mewes war der Promoter für das Denkmal. Die Künstlerin ist Frau Traude Knoess.
„Ich klage an….“ war der Tenor der Ansprache von Herrn Prof. Dr. Dr. Dörner, Mitbegründer des BEZ zur Enthüllung des Denkmals, und bezog die Psychiatrie und sich selbst als Psychiater in die Verantwortung mit ein, dass in überfüllten Anstalten mit unwissenschaftlichen Krankheitsbegriffen die „Würde des Einzelnen“ existenziell bedroht war und Krankheitsbilder grundsätzlich mit negativer Prognose verknüpft wurden.
Das wie auch immer geartete Töten von „unwertem Leben“ und „nutzlosem Vegetieren“ usw. wurde nicht nur von den Ärzten, auch von Juristen, Ökonomen und Verwaltungsmenschen hingenommen oder eher sogar engagiert verfolgt.
Als zweite Schuld klagt Prof. Dörner an: „Dass wir ab 1945 so getan haben, als sei nichts geschehen.“ Überlebende Opfer und deren Angehörige habe man über Jahrzehnte alleine gelassen. Dadurch sei ihnen zusätzliches Leid angetan worden“.
Nur soweit die Auszüge aus dieser Ansprache.
Dieses Denkmal findet große Anerkennung, egal ob bei betroffenen Patienten oder der Bevölkerung. Für uns war dies ein Meilenstein. War es doch offizielle Anerkennung des damaligen „Euthanasie-Sterbens“ und gleichzeitige Rehabilitation der Toten für uns als Angehörige. Es ist ein sichtbares Zeichen und gibt Zeugnis, dass dieses Ungeheuere seinen Ausdruck gefunden hat mit der Aufschrift
„Die Kranken und Schwachen zu schützen, ist die Würde der Gesunden“.
Im März 2002 spricht Prof. Dr. Dr. Günther Roth über Diedrich Bonhoeffer, ein Christ im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Biographie dieses Mannes ist ein Lichtblick in einer finsteren Zeit und allen Christen ein fester Begriff.
Am 01.09.2002 – dem dritten Gedenktag – konnten wir dem Vorsitzenden der evangelischen Landeskirche Herr Bischoff Krug für uns gewinnen.
Erlauben Sie mir, zwei Absätze zu zitieren:
„Wenn mit diesem Gottesdienst den NS-Opfern in Wehnen ein würdiges Denkmal zu teil werden könnte, wenn die vereinbarte Parzelle auf dem Ofener Friedhof Ihnen als Angehörige das stille Erinnern der Mütter, Väter und Geschwister erleichtern könnte, wenn wir als Mitglieder von Kirchen und Weltanschauungen uns des Versagens und Vergehens damals und der Verantwortung heute neu bewusst würden, um jedwedem Aushungern von Gottes Geschöpfen in Gedanken, Worten und Werken zu widersprechen und Widerstand zu leisten, dann würde nicht nur ein gutes Maß an Trauerarbeit geleistet, sondern das Fundament geleistet für ein neues Ringen um Gerechtigkeit, wie sie in der heiligen Schrift vielfach erwähnt und beschworen wird.“
Hier die Predigt vom 03.08.1941 von Bischoff Clemens-August Graf von Galen:
„Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den unproduktiven Menschen töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir alt und altersschwach werden.
Wenn man die unproduktiven Mitmenschen töten darf, dann wehe den Invaliden, die im Produktionsprozess ihre Kraft, ihre gesunden Knochen eingesetzt, geopfert und eingebüßt haben. Wenn man die unproduktiven Menschen gewaltsam beseitigen darf, dann wehe unseren braven Soldaten, die als Schwerverletzte, als Krüppel …. in die Heimat zurückkehren.
Wenn einmal zugegeben wird, dass Menschen das Recht haben, unproduktive Menschen zu töten…., braucht es nur irgendeinen Erlass, dass man das bei Geisteskranken erprobte Verfahren…… auch bei den unheilbaren Lungenkranken, bei den Altersschwachen, bei den Altersinvaliden…… Anzuwenden sei…..,. wer kann dann noch Vertrauen haben zu einem Arzt?“
Ein Gottesdienst der besonderen Art, Herr Bischoff Krug hat unser Anliegen verstanden und aufgenommen; „Noch einmal satt werden; noch einmal Gerechtigkeit erfahren; wie viele Familien und Völker in den Krisen und Kriegsgebieten haben auch in der Gegenwart diesen sehnlichen Wunsch!“
Bei dem anschließenden Imbiss wurde noch einmal über die Friedhofsgestaltung gesprochen. Erstaunt nahmen wir zur Kenntnis, wie viel Engagement und Emotionen zu Tage traten, aber keine Ablehnung mehr.
Wie gesagt, dieses Thema befasst uns heute immer noch.
Im Juli 2002 hielt Dr. Ingo Harms den Vortrag über: „Die Kirche und die NS-Euthanasie“.
Amtsabhängigkeit und Willfährigkeit, Mutlosigkeit, Verstrickung, Duldung der Verbrechen. Noch heute die meisten Gründe, der Kirche nicht mehr anzugehören.
Aber nun stehen wir vor neuen Herausforderungen: Gedenkkreis-Arbeit: Im März 2003 hat sich der Gedenkkreis Wehnen als Verein gegründet und hat die Arbeit für die ehemalige Pathologie aufgenommen. Spendengelder und aktive Hilfe seitens des Landeskreises und der evangelischen Jugend der Kirchengemeinde ermöglichten dieses Vorhaben.
Am 17.04.2004 konnten wir unseren Wunsch erfüllen und die Gedenkstätte „Alte Pathologie“ einweihen. Auf politischer Ebene fanden wir große Unterstützung durch Herrn Kossendey.
Ohne die Spendengelder von EWE, Öffentliche Versicherung, Bezirksverband Oldenburg, Förderverein Niedersächsisches Landeskrankenhaus Wehnen, Landkreis Ammerland und Bündnis 90 / Die Grünen sowie zahlreicher Privatpersonen wäre dieses Vorhaben nie möglich gewesen. Dafür auch an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön!
Edda Minssen, Sprecherin und stellvertr. Vors. Gedenkkreis Wehnen e. V.